Der Goloring

Ein eisenzeitliches Heiligtum vom Henge-Charakter im Koberner Wald (Landkreis Koblenz).
Von Josef Röder, Bonner Jahrbücher 1948, S 81 - 132












Stätten von Jahreszeitenfesten




















Im Anschluß an die Maifestplätze werden wir auch den Goloring und die englischen Henge-Denkmäler als Stätten von Jahreszeitenfesten annehmen dürfen. Durch ihre Lage bei oder inmitten von Grabhügelfeldern wird gleichzeitig ihre innige Beziehung zum Totenkult deutlich. Wir werden schließlich im Hinblick auf die Überlieferung beim Goloring diesen sowie auch die Hengedenkmäler als Stätten der Rechtspflege in Anspruch nehmen dürfen. Die Gestalt dieser Denkmäler wird im wesentlichen durch die Form der darin zu feiernden Kulthandlungen bestimmt worden sein. Als solche werden Umgangsriten in des Wortes weitester Bedeutung anzunehmen sein, mögen sich diese nun in Form langsamer Umschreitungen, lebhafter Tänze oder auch in Umritten oder Umfahrungen mit Roß und Wagen vollzogen oder mag auch nur die kreisrunde Aufstellung der Gemeinde um den bedeutsamen Mittelpunkt die Hauptrolle gespielt haben., Charakteristisch für viele Henges sind Menhir- oder Pfostenkreise oder einzelne zentrale Menhirerrichtungen oder auch Pfostenstellungen, und auch der Goloring weist einen Zentralpfosten auf. Der Anschluß an das westeuropäische Menhirwesen ist in England ohne weiteres gegeben (siehe oben), aber auch bei uns wahrscheinlich. In Anbetracht der Tatsache allerdings, daß die Henges große einmalige Neuschöpfungen darstellen, ist mit allerlei Umdeutungen auch hier zu rechnen.

Der Menhir 1 - und das gleiche gilt für das ihn oft vertretende Pfahlmonument - steht wie die zahlreichen ethnographischen Belege zeigen, ursprünglich im Dienste eines reinen Fruchtbarkeits- und Ahnenkultes. Er ist aus dem Opferpfahl erwachsen und wird selbst zur Erinnerung an ein Opfer errichtet, das ein Mann gibt, um seinen Namen zu verewigen (deshalb der Gebrauch des Steines). Die durch das Opfer freiwerdende Kraft zieht in den Menhir ein und teilt sich den Äckern, dem Getreide und den Menschen mit. Andererseits zeigt sich der Menhir mit dem Totenkult und Seelenglauben verbunden, indem der Totengeist sich am Menhir einfindet, um sich mit den durch die Opfer dort aufgespeicherten Lebenskräften zu vereinigen. Der Menhir ist also Träger einer Lebenskraft und darin dem Baum verwandt, wie bei manchen Völkern auch gelegentlich neben Menhiren oder als Ersatz für solche und mit gleichem Zweck Bäume gepflanzt werden. Und wie die im Baum wirksamen Kräfte leicht im Bilde göttlicher Wesen erlebt und empfunden werden, so kann auch der Menhir in dem Augenblick, wo ein Götterkult dem reinen Ahnenkult an die Seite tritt oder ihn verdrängt, leicht zum Göttersitz werden, zum Ort, wo ein Götteropfer vollzogen wird und die Gottheit es entgegennimmt. Solche Opferstätten vieler Familien und Sippen werden auch die Menhirkreise sein.

Bei den eizelnen Steinen. in den Halbkreisen von Er-Lannic (Morbihan) 2 liegen kleine, durch Steinplatten umkleidete Opfergruben mit Feuer (Holzkohle-), Knochen. und Keramikresten, so daß also jeder Menhir eine Opferstätte für sich darstellt. 23 von den 32 ausgegrabenen Pfostenlöchern des Aubrey-Kreises in Stonehenge enthielten verbrannte Menschenknochen, die ursprünglich gegen die Pfosten gelegt waren und nach dem Verfaulen der Pfosten allmählich in die Grube gefallen sind 3. Sollte hier nicht jeder der Pfosten ein Opferplatz gewesen sein wie die Menhire von Er-Lannic? Diese Deutung der Menhirkreise kann auch durch ethnographische Parallelen erhärtet werden 4. Als Adressaten der Opfer sind allerdings nur aus dem Standort der Steine oder Pfähle innerhalb der Heiligtümer Götter zu vermuten 5. Menschenopfer an Götter und zur Förderung der Fruchtbarkeit von Pflanzen und Menschen sind aus Europa noch in recht später Zeit bezeugt.

Avebury besitzt im Innenraum neben dem großen Menhirkreis, der sich am Innenrande des Grabens entlangzieht, noch zwei einzelne Menhirkreise mit Innenstrukturen und ist außerdem mit dem Heiligtum auf dem Overton-Hill durch eine Menhirallee als Prozessionsstraße verbunden, so daß ein großer heiliger Bezirk mit verschiedenen Kultstätten entsteht. Man darf daher wohl annehmen, daß die einzelnen Stätten verschiedenen Gottheiten geweiht waren bzw. einzelne Aspekte eines großen Festzyklus zur Darstellung brachten. Allein diese Überlegung warnt uns davor, die Bedeutung der Henge-Denkmäler allzu eng zu fassen, gar aus ihrer Struktur ein ganzes Mythologem ablesen zu wollen, etwa im Sinne der Hirnmel-Erde-Hochzeit, wie das A. van Scheltema versucht hat 6.

Wichtiger noch als die Menhirkreise scheinen mir die zentralen Errichtungen in den Henge-Denkmälern. Leider sind noch zu wenige dieser Heiligtümer gut ausgegraben. Heute noch sichtbare weil aus Stein bestehende Innenanlagen finden sich nur in Stonehenge, Avebury und Arbor Low. Die Befunde in Woodhenge, auf dem Overton-Hill und schließlich auch im Goloring lassen bei künftigen Grabungen noch allerhand erwarten. Merkwürdig ist die Mannigfaltigkeit gerade der zentralen Strukturen, die durch ihre lagegemäßen Entsprechungen eine weitgehende Gleichsetzung erlauben. Beschränken wir uns zunächst einmal auf eine Betrachtung von Stonehenge, Woodhenge und Overton-Hill, die, wie Cunnington nachgewiesen hat 7, ein gleiches Bauschema und damit auch wohl eine besondere bedeutungsmäßige Gleichheit verraten. Im Mittelpunkt von Stonehenge liegt der Altarstein 8, an gleicher Stelle in Woodhenge die Beisetzung eines erschlagenen,. etwa 3 ½ jährigen Kindes, vermutlich weiblichen Geschlechtes 9. Dieser Befund ist schwerlich in dem Sinne zu verstehen, daß nun die ganze Anlage zur Erinnerung an ein erschlagenes Kind errichtet worden sei. Bauopfer, die ja doch den Zweck haben, die Mauern oder Pfähle eines Baues magisch zu stützen, würde man in diesen Heiligtümern eher unter den Pfählen als auf dem sonst von Errichtungen freien Kultplatz erwarten. Zugunsten einer Opfertheorie spricht die klaffende Wunde am Schädel des Kindes, gegen den direkten Opfercharakter die ordentliche Beisetzung der Kindesleiche. Am ehesten werden wir dem ganzen Befund gerecht, wenn wir ihn als Niederschlag einer symbolischen Handlung auffassen (vgl. unten).

Dem Grab in Woodhenge entspricht in dem Heiligtum auf dem Overton-Hill ein Pfahl, während im nördlichen Menhirkreis von Avebury ein Menhir steht. Andererseits finden wir im Mittelpunkt der Maifestplätze, die wir zum Vergleich herangezogen haben, einen lebendigen Baum. Häufiger ist bei den Maifesten eine aufgerichtete Stange oder Pfahl, der seiner Wurzeln oder eines Großteils seiner Äste beraubt, meist aber anderweitig ausgeschmückt ist, dem aber doch im Volksglauben die gleiche Bedeutung zugemessen wird wie dem lebenden Baum.

In dem Baum wird als dem Repräsentanten des Frühlings- und Sommersegens das Wirken dämonischer und göttlicher Kräfte im Jahreslauf sichtbar, während die (zentralen) Menhir- oder Pfahlmonumente in den Henges wohl eben Götterbilder selbst gewesen sind. Wie die antiken Vegetationskulte, so zeigen auch zahlreiche Einzelzüge unserer volkskundlichen Jahresfeste, daß man das Auf und Ab im Jahreslauf im Bilde des Sterbens und Wiederauferstehens göttlicher Wesen und ihrer menschlichen Darsteller bei den Festen erlebte. An die Sittenkomplexe des Todaustragens, des Tötens des Vegetationsgeistes, des Aufweckens der schlafenden oder toten Vegetationsgeister in ihren Darstellern sei hier nur erinnert 10. Es fragt sich nur, ob nicht das Kindergrab in Woodhenge gerade diesem Gedanken symbolischen Ausdruck verlieh.

Ich habe es mit vollster Absicht vermieden, alle diese angedeuteten Beziehungen straffer zu fassen. Andeuten ist in diesen schwierigen Fragen, auf die es nie eine definitive Antwort geben kann, besser als Ausdeuten. Es sollten nur einmal in aller Kürze verschiedene Erklärungsmöglichkeiten abgeschätzt werden.
















  1. Ich fasse im folgenden kurz die Ergebnisse einer größeren Arbeit zusammen, die das wichtigste vorgeschichtliche, volks- wie völkerkundliche Material zu dieser Frage umfaßt und demnächst veröffentlicht werden soll. Zu dem Folgenden vgl. u. a. auch: Hutton, Antiquity 3, 1929, 61 ff., R. v. Heine-Geldern, Anthropos 23, 1928, 276 ff.

  2. Z. de Rouzic, Les cromlechs de Er-Lannic (1928).

  3. T. D. Kendrick a. a. 0. 65.

  4. In Celebes traf Grubauer, Unter Kopfjägern in Central-Celebes (1913) 193, 378, Menhir- und Pfostenkreise als Opferstätten im Totenkult, wobei jeder Stein oder Pfahl einer bestimmten Familie zugeteilt war. Die Höhe der Steine versinnbildlichte den Rang der opfernden Familie. Sind nicht vielleicht die Trilithen in Stonehenge ins Gigantische gesteigerte 'Opferrecks', wie sie in bescheideneren Dimensionen noch in Belutschistan vorkommen (Antiquity 2, 1928, 90 f. Taf. 1, 2) und zum Aufhängen der Opfergaben dienen ?

  5. Die Menhirkreise als Darstellung eines ganzen Pantheons, wie Maccalister will, anzusehen, geht bei der großen Zahl der Einzelelemente doch wohl nicht an. Bei solchen Errichtungen wie dem Sarsenkreis und überhaupt den Innenkreisen von Stonehenge, ebenso vielleicht bei Woodehenge und Overton-Hill darf man wohl die Frage nach einer individuellen Bedeutung der Einzelelemente gar nicht stellen.

  6. Handbuch der Symbolforschung II (1941).

  7. Woodhenge (1929) 18 ff.

  8. Über seine ursprüngliche Lage ist man sich allerdings keineswegs einig. Manche Forscher glauben, daß er einst aufrecht gestanden habe. Die Tatsache, daß er an einem Ende zugespitzt ist, kann allerdings kaum für diese Ansicht ausgewertet werden, da man eher, zwecks besserer Verankerung, eine breite Basis für einen aufrecht stehenden Stein gewählt haben würde. Nichts spricht gegen die Annahme, daß er sich heute noch in ursprünglicher Lage befindet.

  9. Cunnington a. a. O. 15, 52.

  10. W. Mannhardt, Wald und Feldkulte I (1904} passim.

















Zu: Die Suhle - S. 124
















Zurück zu: Der Goloring - Ein eisenzeitliches Heiligtum vom Henge-Charakter im Koberner Wald (Landkreis Koblenz). Von Josef Röder, Bonner Jahrbücher 1948, S 81 - 132
Scanwork - Juni/Juli 2004 Wisoveg.de, Wingarden.de












© Copyright