Wirf deinen Schatten Sonne

Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen, 1992












Die Sonnenuhr an der Karmelenbergkapelle






Die detaillierte Bilddarstellung Simons (Abb. 2), wenn sie denn einer wissenschaftlichen Untersuchung standhält, zeigt in Höhe der Fensterreihe eine quadratische Uhrfläche. Sie reicht über den Eckpilaster bis unmittelbar an die südöstliche Gebäudekante heran. Das Zifferblatt ist plan auf den Mauerputz gezeichnet, liegt also ganz in der Fluchtlinie der südlichen Kirchenwand oder, wie man auch sagt, Kirchenwand und Sonnenuhr besitzen die gleiche Deklination. Diese Beobachtung ist wichtig, denn damit hängt die Geometrie der Sonnenuhren und ihre geographische Verbreitung zusammen. Zur Erläuterung dessen muß etwas weiter ausgeholt werden.

Abb 2


Abb. 3: Vertikale Süduhr aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Steinplatte ist nach Süden ausgerichtet und hoch oben, unter dem Dach, schräg auf die Ecke des Bibliothekgebäudes von Kloster Steinfeld gesetzt worden.


Abb. 4: Abweichende Vertikaluhr auf Putz gezeichnet am ehemaligen Deutschen Hof in Lonnig

Abb. 4a:


Abb. 5: Mit geometrischen und trigonometrischen Methoden läßt sich die Karmelenberger Sonnenuhr rekonstruieren.


Stundenlinien:

tg z =

cos 50,3°
cos 19° x ctg AH + sin 19° x sin 50,3°


Substilare:
tg ß = sin 19° x ctg 50,3 –> 15°



Die bürgerliche Zeitrechnung war seit dem Mittelalter Sache der Kirchen. Mit Sand-, Wasser- oder Kerzenuhren, ja sogar mit den metronomen Absingen von Litaneien und Psalmen versuchten die Sakristane mehr schlecht als recht, den Tageszeitenrhythmus in den Griff zu bekommen und durch Glockenzeichen die Gläubigen an ihre täglichen Gebetspflichten (officia oder horae canonicae) zu erinnern. Später, zu Beginn der Neuzeit, kamen auch die ersten grobgliedrigen Räderuhren mit ihren zentnerschweren, im Glockenturm aufgehängten Gewichten zum Einsatz.

Aber all diese Meßinstrumente waren von chronischer Ungenauigkeit und konnten nur elementare Zeitdifferenzen überbrücken. Sie mußten ständig geeicht und gerichtet werden.


Einzige Quelle eines objektiven, kosmischen Zeitmaßes waren bis ins 19. Jahrhundert Sonnenuhren. Wenn sie auch bei Schlechtwetter ihre sprichwörtliche Schattenseite hatten, so gaben sie doch dem Sakristan einen zuverlässigen temporären Anhaltspunkt, weil sie nicht zufroren oder verstopften und auch ohne sein (bisweilen verschlafenes) Zutun funktionierten.

Zwei geometrische Gestaltungsformen lassen sich an den Südseiten der Kirchen in der Eifel und darüber hinaus im Rheinland typologisch unterscheiden 1:

1. die vertikale Süduhr (vgl. Abb. 3). Auf einer kleinen Holz- oder Steinplatte wird der Schattenstab je nach geographischer Breite befestigt. Senkrecht nach unten (als orthogonale Projektion) wird die Meridian- oder Mittagslinie im Zifferblatt eingraviert. Nach links und rechts schließen sich symmetrisch zueinander die Vor- bzw. Nachmittagsstunden an. - Die Platte wird nun in die Südrichtung gedreht (also parallel zur Ost-Westrichtung) und in diesem Winkel an der Kirchenwand oder –ecke befestigt.

2. die abweichende Vertikaluhr (vgl. Abb. 4). Auf den Außenputz gemalte, großformatige Zifferblätter zeigen Stundenlinien, die nicht mehr symmetrisch zur 12-Uhr-Linie verlaufen, denn die Uhrfläche weicht entsprechend der Mauerdeklination von der Ost-Westrichtung ab, und damit verzerrt sich die Darstellung der Stundenwinkel.


Beide Verbreitungsformen treffen sich in der Eifel. Im Norden ist der erste Typ verbreitet. Im Süden tragen die Kirchen hingegen die gezeichneten abweichenden Zifferblätter. Den Grenzraum bildet die westöstlich streichende „Eifelbarriere“, wo beide Expansionsformen sich abschwächend gegeneinander auslaufen. Im wesentlichen werden die Diözesangrenzen eingehalten und so deren Wichtigkeit für die Herausbildung von Kulturräumen belegt. Dies entspricht in ganz ähnlicher Weise der Verbreitung rheinischer Kirchenglocken. 2 Kurtrierische Glocken dringen von Süden her in die Eifel vor und treffen auf die Einfluß- und Ausdehnungsbestrebungen des Kölner Erzbistums. - Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch die Mundartgrenze (hus-haus-Linie) und die römische Provinzialgrenze der Germania inferior und der Germania superior (Vinxtbach - Hohe Acht).

Kehren wir zur Sonnenuhr auf dem Karmelenberg zurück. Simons stellt sie großflächig dar. Die Stundenlinien laufen am oberen Rand des Quadrates zusammen, allerdings nach rechts versetzt. Es handelt sich also eindeutig um eine auf Putz gemalte, abweichende Vertikaluhr, wie sie im Trierer Erzbistum üblich war.












Die südliche Kirchenwand ist nachweislich nicht exakt nach Süden ausgerichtet, sondern dekliniert mit einem Wert von knapp 20 Grad nach Südsüdost. Abbildung 5 zeigt den Versuch einer Rekonstruktion (bei Berücksichtigung einer geographischen Breite von ca 50 Grad).

Eine Sonnenuhr an der Karmelenberger Kapelle hatte nicht nur dekorativen, kontemplativen, sondern durchaus auch praktischen Wert. Im Jahre 1706 wurde der Karmelenberg zum Mittelpunkt und „capitularischen“ Versammlungsort der Eremitenkongregation für die Niederlassung im Niedererzstift Trier bestimmt: 3 in der „Muttergottescapell von Carmelo“ wurden die Kandidaten der Kongregation an- und aufgenommen, eingekleidet und zu den Gelübden zugelassen.

Hier, am Zentralort selbst, war über dem Chor der Kapelle ebenfalls eine Eremitage eingerichtet, die ständig von ein oder zwei Einsiedlern bewohnt war.

„... Die Wohnungen der Eremiten sollen von den Ortschaften wenigstens zwei Meilen entfernt liegen“, schrieben die Trierer Satzungen vor. 4 Ecce elongavi et mansi in solitudine (Psalm 54) „Siehe, ich habe mich fern hinweg begeben und bin in der Einsamkeit geblieben“, lautete das dazu passende Geleitwort der Eremiten.

In solcher Abgeschiedenheit war die Schattenanzeige der Sonnenuhr ein hilfreicher Ersatz für die in der Ferne verhallten Glockenzeichen der Kirche, eine stille Mahnung auf die fortgeschrittene Stunde und die einzuhaltende kanonische Tagesordnung. Hinzu kommt die selbst auferlegte Armut, die jede andere Form von privatem Uhrenbesitz ausschloß.

Freilich, mehr als ein gelegentliches Zeitsignal konnte bei einer durchschnittlichen Sonnenscheindauer von 4 Stunden pro Tag dabei nicht herauskommen - dafür aber ohne jeglichen Aufwand und frei Haus.

Der Rest mußte durch tägliche Übung eingeschliffen werden, und das bedeutete nach dem strengen Statut des Regelbüchleins: „... Von der Zeit der abendlichen Komplet bis zur Sext des folgenden Tages haben die Brüder strengstes Stillschweigen zu beobachten ...

Morgens um 4 Uhr stehen die Brüder auf.
Daran schließt sich das Morgengebet, die Matutin und Laudes, eine halbstündige Betrachtung, die mit dem Beten der Terz abgeschlossen wird.
Nach dem eingenommenen Frühstück werden die Haus- und Küchenarbeiten verrichtet.
Um halb 11 Uhr folgen Sext und Non sowie die Einnahme des Mittagsessens mit halbstündiger Mittagspause.
Die Zeit von 2 bis 5 Uhr nachmittags ist der Hau- und Gartenarbeit gewidmet.
Um 5 Uhr Vesper.
Um 6 Uhr Nachtessen.
Um 7 Uhr Komplet, Rosenkranz mit Vorbereitung auf die Betrachtung des folgenden Tages.
Um 9 Uhr Nachtruhe.“

Zur Einhaltung dieses Zeitplans ist die Sonnenuhr nützlich. Ihre Geschichte ist daher eng mit der Geschichte der Einsiedelei verbunden, und es ist nicht schwer, ans Ende dieser Geschichte vorzudringen ...













Quellenangaben:

  1. Zäck, a.a.O. Seite 124 ff.

  2. Geschichtlicher Handatlas der Deutschen Länder am Rhein. bearb. v. Jos. Niessen. Bonn 1950, 59

  3. Como, Franz: Die Eremitenkongregation im Niedererzstift Trier. Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte. 16. Band, Speyer 1964, 181

  4. ebda 178 ff.























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Dr. Wolfgang Zäck, Mayen

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